Herr Professor, lohnt sich ein Studium in der Pflege…?

Du willst Dich nach Jahren im Beruf weiterentwickeln? Hilft Dir dabei ein Jobwechsel, eine Weiterbildung oder sogar ein Studium in der Pflege? Wir haben mit Prof. Dr. Jürgen Härlein, Professor für Pflegewissenschaft an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, genau über dieses Thema gesprochen.

Prof. Dr. Jürgen Härlein ist Studiengangsleiter Health für Allgemeine Pflegewissenschaften an der Evangelischen Hochschule in Nürnberg.

Eine Pflegekraft stellt sich die Frage: Lohnt sich ein Studium in der Pflege? Was wäre Ihre Antwort hierzu?

Prof. Dr. Jürgen Härlein: Als Hochschullehrer sage ich, dass sich Bildung mittelfristig immer auszahlt, sei es persönlich oder finanziell. Die besten Antworten geben hierzu Kolleginnen und Kollegen, die nach 20 Jahren im Beruf noch studiert haben. Viele berichten, dass sie für Sachverhalte, in denen sie früher nach dem Bauchgefühl gehandelt hätten, inzwischen Problemlösungen durch wissenschaftlich basierte Methoden und orientiert an Studienergebnissen herbeiführen können. Die Nutzung wissenschaftlicher Kompetenzen und einer forschungsgestützten Infrastruktur in der Pflege wurde über Jahre hinweg in Deutschland verschlafen, ist aber von immenser Wichtigkeit.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung im Hinblick auf eine Akademisierung in der Pflege? Gerade, was die Zahl der Studienplätze und Studierenden angeht?

Härlein: Man muss hier natürlich sagen, dass die Palette an Studienmöglichkeiten und – angeboten im Bereich der Pflege in den letzten Jahren enorm gestiegen ist. Seit den 1990er-Jahren ist die Anzahl der Hochschulstandorte und Studiengänge sehr stark gewachsen. Wie das in Zukunft weitergehen wird, hängt davon ab, wie stark Politik und Gesellschaft, aber auch die Profession Pflege selbst, dieses Wachstum fördern. Die Faktoren der Ökonomisierung und Rationierung im Gesundheitswesen spielen dabei ebenfalls eine Rolle.

Wir haben immer mehr Menschen, die Pflege brauchen, aber die finanziellen Mittel und personellen Ressourcen dafür sind begrenzt. Jeder Mensch hat aber ein Recht auf eine gute am aktuellen Wissen orientierte Pflege. Dastellt sich natürlich die Frage, in welchem Format und zu welchem Preis wird diese bessere pflegerische Versorgung zugänglich sein.

Jobs für Akademiker und Akademikerinnen: „Konzepte noch in Schublade“

Der Bayerische Rundfunk berichtet, dass der Anteil von akademisch ausgebildeten Personen in Kliniken bei nur etwa einem Prozent liegt. Sinnvoll wäre das Zehnfache. Gibt es für Personen mit Hochschulabschluss in der Pflege überhaupt genügend Arbeitsplätze?

Härlein: Man muss ehrlicherweise sagen, dass es im Moment in Deutschland erst wenige beispielhafte Einrichtungen gibt, die Konzepte in der Schublade haben, Pflegefachfrauen und -männer mit akademischen Qualifikationen entsprechend zu integrieren. Wenn ich auf unsere Absolventinnen und Absolventen blicke, dann haben vor allem die Personen eine entsprechende Position bekommen, die in ihrer Einrichtung selbst aktiv an der Entwicklung dieser Aufgabenbereiche mitgearbeitet haben.

Wie kann das in der Praxis aussehen?

Härlein: Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Absolventin. Nach 25 Jahren Berufspraxis auf der Station hatte sie den Antrieb noch einmal voranzukommen. In einer großen Klinik hat sie erkannt, wo es Entwicklungsmöglichkeiten gibt und hat jetzt eine fachliche Führungsposition inne. Sie ist für die Koordination der Zusatzangebote für Menschen mit kognitiven Einschränkungen in dieser Klinik verantwortlich.

Studium in der Pflege: Diese Bereiche bieten Potenzial

In welchen Bereichen gibt es Ihrer Meinung denn Entwicklungspotenzial in der Pflege?

Härlein: Hier würde ich vor allem pflegegeleitete Programme zur Unterstützung bei der Bewältigung chronischer Krankheiten nennen, oder aber auch die Bereiche Wundversorgung, Beatmung und Diabetes mellitus. Die Wundversorgung wird beispielsweise jetzt schön häufig von Wundexperten oder spezialisierten ambulanten Pflegediensten übernommen. Diese könnten sich eigentlich autonom darum kümmern. Allerdings müssen Ärzte weiterhin diese Behandlungen verordnen und gegenzeichnen, wobei die Pflege dieses Leistungspaket selbst übernehmen kann. Hierbei können akademische Qualifikationen einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung leisten.

Wenn eine Pflegekraft nun vor der Wahl steht: Weiterbildung oder Studium in der Pflege – welchen Mehrwert hat hier die akademische Ausbildung? Wann ist eine Weiterbildung sinnvoller?

Härlein: Wir sind eines der letzten Länder in Europa, in denen die Pflege noch nicht vollständig im akademischen Bereich integriert ist. Was bei uns also in Weiterbildungen verortet ist, ist in anderen Ländern in Studiengängen meist auf Masterebene angesiedelt. Wir haben in Deutschland somit hohe Überschneidungen, da das Weiterbildungssystem in der deutschen Pflege auf einem sehr hohen Niveau ist. Auch hier wird bereits mit wissenschaftlichen Materialien und Quellen gearbeitet.  

Für ein Studium sprechen die Vertiefung des kritischen Denkens, von analytischen Fähigkeiten und wissenschaftlichen Kompetenzen. Zudem ist der Titel eines akademischen Abschlusses natürlich in der Berufswelt höhergestellt, als ein Weiterbildungsabschluss. Weiterbildungen haben sicherlich den Mehrwert mit praktischen Skills, was im Vergleich zum Studium viel fundierter und umfassender ist. Doch auch die Studiengänge weisen einen sehr hohen Praxisanteil auf. In meinen Augen sollte man in Deutschland bestmöglich beides machen. Also nach dem Studium noch fachspezifische Fort- und Weiterbildungen ergänzen.

Studium in der Pflege: Das ist 2020 neu

Welche Zulassungsvoraussetzungen gibt es denn für einen Studiengang in der Pflege? Kann man auch ohne Abitur studieren?

Härlein: In Deutschland gelten die regulären Hochschulzugangsbedingungen. Das sind in der Regel das Fachabitur oder Abitur. Es gibt aber auch die Hochschulzugangsregelung über eine berufliche Qualifikation. Es können also auch Personen studieren, die eine dreijährige Berufspraxis in Gesundheits- und Pflegeberufen vorzuweisen haben. Auf staatlichen Hochschulen werden aber nur 5 Prozent der Studienplätze so vergeben. Beiuns an der Evangelischen Hochschule Nürnberg sind das in etwa 10 bis 20 Prozent. 

Neu ist seit 2020, dass die Grundausbildung inzwischen über ein reguläres Bachelorstudium stattfinden kann. Vorher war das nicht möglich und man konnte nur parallel zur beruflichen Ausbildung Veranstaltungen an Hochschulen besuchen. Der Bachelorabschluss konnte also nicht über ein mehrsemestriges Vollzeitstudiumerworben werden. 

Was bedeutet diese Entwicklung hin zum primärqualifizierenden Pflegestudium?

Härlein: Das bedeutet sehr viel. Chancen auf mehr Autonomie, Chancen auf mehr Entwicklungsmöglichkeiten und mehr Chancen, dass man den Patienten, Bewohnern und Klienten schneller eine evidenzbasierte Pflege zur Verfügung stellen kann. Also, dass in der Pflege künftig nicht nur das Handwerk und die Erfahrungen, sondern auch Studienergebnisse und wissenschaftliche Methoden herangezogen werden. Allerdings ist ungewiss, wie zügig diese Entwicklung in der Praxis voranschreiten wird. Für die Einrichtungen bedeutet das einen Kulturwandel mit neuen Aufgabenprofilen und finanziellen Hürden. 

Gibt es Studiengänge bzw. Fachbereiche in der Pflege, die Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren einen hohen Bedarf haben werden?

Härlein: Die Frage ist natürlich, in welche Bereiche wird zukünftig investiert. Ich glaube, dass das vor allem in technische Betreuungssystem für Menschen sein wird. Mit der Kombination aus Robotik, Versorgung, Gesundheit und Pflege sollte man vor allem ökonomisch gute Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt haben. Nur sollte man sich auch gesellschaftlich fragen, ob man diese Zukunft in der Pflege haben möchte. Meiner Meinung nach brauchen wir Fachkräfte für die gerontologische Pflege, für das Primary Care oder in der Palliative Care. Ich glaube, dass die Politik den Bedarf aber eher im technologischen Bereich sieht.

Reiner Schreibtisch-Job? Das ist dran am Pflege-Akademiker bzw. an der Pflege-Akademikerin

Kann man durch das Akademisierungsbestreben auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken, da der Beruf mit mehr Aufstiegschancen attraktiver gestaltet wird?

Härlein: Natürlich, das ist ein zentraler Faktor. Gerade das Angebot eines Vollstudiums macht die Pflege natürlich um ein Vielfaches attraktiver. Entscheidend ist natürlich, dass es künftig auch einen Kulturwandel in den Einrichtungen gibt, die entsprechende Arbeitsplätze für qualifizierte Pflegestudierende zur Verfügung stellen.

Aber wer macht denn den alten Beruf einer Gesundheits- und Krankenpflegekraft, nachdem diese eine höhere Qualifikation hat?

Härlein: Das wird immer falsch verstanden. Studieren heißt ja auch, weiterhin praktisch tätig zu sein. Pflegefachfrauen und -männer mit akademischen Qualifikationen bringen dann ihre erweiterte Problemlösungskompetenz und die Kompetenz pflegepraktische Fragen wissenschaftlich zu bearbeiten ein. Das ist doch nur von Vorteil. Das Bild vom reinen Schreibtisch-Job stimmt nicht. Natürlich kommen den Akademikern auch fachliche Führungsaufgaben im Büro zu. Aber sie arbeiten weiterhin in der Praxis. Wenn sich das System der Versorgung durch die akademisierten Fachkräfte verbessert, dann gewinnt die Pflege letztlich immer.

Sie selbst haben letztlich selbst den Schritt des Studiums nach der Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegekraft gewagt. Was war Ihr Antrieb dafür?

Härlein: Mit diesen Möglichkeiten habe ich mich schon während Zivildienstes beschäftigt und war von Anfang an begeistert, gerade von der Pflege als akademischer Disziplin. Insbesondere die Vermischung von Praxis und Theorie haben mich fasziniert. Man reift nicht nur fachlich, sondern auch menschlich und bekommt durch die neuen Behandlungsmöglichkeiten und Studien völlig neue Sichtweisen in der Pflege vermittelt. 

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